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Appetizer für Zukünftiges

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Was ist SchülerForscher?

Früher meinte man zu wissen, dass Mobbing einfach zu lösen sei: Opfer und Täter bekommen jeweils eine Therapie und schon ist Mobbing gelöst. Das Problem: Dahinter steckt viel Arbeit und es kam nur wenig bei raus. Mobbing ist zielgerichtet, denn jemand will Macht und das funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Wenn die Klasse nicht mitspielt, findet Mobbing nicht statt.

Drehen wir den Spieß um: Schüler sind nicht nur Experten beim Mobben, sonder nauch Experten die Logik von Mobbing zu begreifen. Wir, die die hinter dieser Webseite stehen, können forschen. Ihr könnt helfen, die Ergebnisse von allen Seiten richtig zu beleuchten.

Wie forscht ihr?Zwei kleine Demonstrationen

Um Mobbing verstehen zu können, müssen viele psychologische Faktoren berücksichtigt werden. Wir haben zusammen mit dem Team von Quarks und Caspers zwei kleine Experimente durchgeführt, die zwei wesentliche Faktoren genauer beleuchten:

Im Corona-Modus: Ein Gedankenexperiment

Alles ist anders und im Sturm der Notwendigkeiten zur Veränderung ist es der Impuls „Jetzt nicht auch noch was zu Mobbing!“ mehr als nachvollziehbar.

Wenn Krisen aber immer auch Chancen eröffnen, könnte die Notwendigkeit, Klassen bei der Wiederöffnung der Schulen aufzuteilen, eine Solche sein. Nimmt man sich beim Zusammenstellen der Gruppen ein klein wenig Zeit, könnten veränderte Gruppenkonstellationen Potential entfalten – für ein soziales Miteinander und gegen Mobbing.

Worin läge die Chance?

Wir sind ausgestattet mit Verhaltenstendenzen als bevorzugten Wegen uns zu sozialen Situationen in Beziehung zu setzen. Was nehme ich wahr, wie interpretiere ich, was sehe ich, neige ich zu automatisiertem Verhalten oder eher zum Handeln, wenn die soziale Situation mir „Hallo wach! Tu was!“ signalisiert. In starren Gruppen wie Schulklassen sind Rollen schon nach ungefähr drei Monaten festgelegt: Man sortiert sich zueinander und richtet sich in einer Rolle ein, die der Kontext anbietet und die den individuellen Verhaltenstendenzen am ehesten entspricht. Aber auch folgende Beobachtung klingt nicht fremd: „DIE ist in der neuen Klasse ja komplett aufgeblüht oder DER geht jetzt in der neuen Klasse komplett unter – nicht wiederzuerkennen“. Eine Veränderung bringt Veränderung oder anders formuliert: Rollen sind unterschiedlich stark vom Kontext abhängig.

Wenn etwas schief läuft oder gezielt schief laufen soll, tun einige viel, um zu profitieren. Andere spenden dazu Beifall (ohne sich „die Hände dreckig zu machen“) und stehen oder stellen sich in den Dunstkreis derer, die Dominanz anstreben. Wieder andere sind dabei immer mittendrin und aktive Helfer(lein), wenn angezettelt wird, was ihnen oder der Gruppe der Probullies Status, Anerkennung und Aufmerksamkeit verspricht. Nicht überraschend also, dass diese aggressionsaffinen Verhaltenstendenzen kontextabhängig sind und durch positive Verstärkung untereinander einerseits, aber andererseits auch ohne klaren Gegenwind direkt beeinflusst werden. Sogar Ignorieren wird als „Wer nichts sagt stimmt zu!“ gedeutet. Die Kontextabhängigkeit von aggressionsaffinen Verhaltenstendenzen impliziert aber auch Variabilität bei Veränderung der Konstellationen in der Gruppe.

Qualitativ anders ist Verteidigen oder laut werden, wenn Unrecht geschieht. Diese Verhaltenstendenz ist kaum kontextabhängig und das ist schon ab dem frühen Grundschulalter beobachtbar. Sie ist charakterisiert durch überwiegend direkte Reaktionen auf relevante Ereignisse. Bei denen, die bevorzugt dazu neigen, sich rauszuhalten, ist hingegen wenig über die Beeinflussbarkeit durch den Kontext bekannt. Wer die Tendenz hat außen zu stehen, sieht in der Regel sehr genau, was passiert, orientiert sich oft an der Reaktion anderer und versucht seinen Stress (Mitleid statt Mittgefühl) zu regulieren. Wegdrehen und nicht weiter hinschauen reduziert die Ausschüttung der Stresshormone, was als physiologische Verstärkung als „Belohnung“ (der gefühlte Stress wird weniger) wahrgenommen wird und diese Verhaltenstendenz stabilisiert. Die hohe Sensibilität gegenüber der sozialen Umgebung impliziert aber auch Spielraum für kleine Schritte. Das bedeutet, Außenstehende wollen und können agieren, wenn eine entspannte Umgebung Vertrautheit zur Erprobung und entsprechende Modelle anbietet.

Man geht davon aus, dass bei Mobbing Probullies, (d.h. Täter, deren Verstärker und deren Assistenten), Verteidiger und auch die Gruppe der Außenstehenden in etwa zu gleichen Teilen auftreten. Wie könnte man eine Aufteilung der Klasse gestalten, um dem Opfer Entspannung und Vielen neue und qualitativ sehr verschiedenartige soziale Lernerfahrungen zu ermöglichen?

Nehmen wir für eine prototypischen Gruppe an, dass es jeweils einen klar identifizierbaren Täter und einen Verteidiger gibt. Diese sollten nicht in derselben Gruppe verbleiben, wenn man 30 Schüler auf zwei Gruppen á 15 Schüler aufteilt (Abb. 1). Würde man dann drei bis vier Assistenten aus der von Probullies dominierten Gruppe gegen drei bis vier Verteidiger austauschen wären folgende Konsequenzen denkbar:

Die Mehrzahl der Assistenten verlieren ihre Bezugsgruppe und sind nicht mehr in der Runde der Probullies. Orientieren sie sich an der neuen Gruppe in der bisher bekannten Art und Weise, könnte ihre Beliebtheit in der Klasse eine „Öffnung“ gegenüber der neuen Gruppe unterstützen . Und ihre Sensitivität für Dominanz eröffnet Raum, modellhaft zu erfahren, wie andere, zumeist positiv intendierte Strategien, wirken, wenn ihr bisheriger Referenzrahmen – die Probullies – fehlen.

Gruppenbeobachtungen schon im Kindergartenalter belegen, dass ein Drittel neuer Kinder in einer Gruppe zur Interaktionen zwischen allen führt. Ist die Gruppe der neuen Kinder größer, führt es dazu, dass „alte“ und „neue“ Kinder vorwiegend untereinander interagieren.

Gibt es hier ein Risiko? Assistenten mutieren nicht zu Tätern. Sie unterstützen, indem sie die Ideen anderer umsetzen und Täterverhalten vielleicht sogar nachahmen. Die Fähigkeit zur Gestaltung sozialer Situationen fehlt ihnen.

Drei mittelstarke Verteidiger können Mobbing ebenso in Schach halten wie ein starker, sehr anerkannter Verteidiger. Was kann also passieren, wenn man diese in das „Wespennest“ der verbliebenen Probullies, angereichert mit Außenstehenden sortiert.

Wechseln wir die Perspektive: der Täter ist ohne Opfer, aber weiterhin dominant – eigentlich eine „gechillte“ Situation, aber in einem wesentlich überschaubaren Rahmen (weniger Schüler). Für Lehrer eine optimale Situation, sich die Popularität des Täters zunutze zu machen und ihn/sie positiv in die Pflicht zu nehmen. Die Verteidiger könnten absichern, dass Versuche, ein neues Opfer zu finden, unterbleiben – die Neuzusammensetzung kann hierbei entschärfend wirken.

Gibt es hier ein Risiko? Ein Täter, der diese Rolle schon lange hat, könnte provokativ den Lehrer fokussieren, um seine „Position“ zu demonstrieren. In einer Gruppe, wo ebenso viele Schüler für wie gegen Mobbing sind, ein überschaubares Risiko. Die räumlichen Distanzen und die höhere Visibilität tragen dazu bei, Kaspereien zur Unterhaltung der Umgebung effektlos werden zu lassen, weil auch das Verbergen hinter Gleichgesinnten schlechter funktioniert.

Was könnten Opfer gewinnen? Sie erleben in ihrer Gruppe eine neue Norm, die es erleichtert zu begreifen, dass nicht sie der Grund für Mobbing sind. Die Konstellation der Teilgruppe kann zudem Raum bieten, ihre Position in der Gruppe erstmals selbst zu bestimmen und zu erproben.

Umgebung formt Verhalten – Verhalten formt Umgebung

Die Reaktion der anderen auf das, was wir tun, wirkt. Sie entspricht den Erwartungen oder ist gegenteilig und beeinflusst folgende Handlungsschritte aber ebenso folgende Reaktionen der Umgebung. Ist Verhalten oder Handeln gut beobachtbar, die direkte Interaktion mit Peers zur jeweiligen Deutung aber erschwert, kompliziert das die soziale Orientierung durch Gruppeneinfluss.

Eine veränderte Gruppenzusammensetzung verändert so die sozialen Kräfte, die auf das Verhalten oder Handeln wirken, und zwar in Stärke und Richtung. Tun wir etwas, unterlassen wir etwas, herrscht Zeit zu sehen, was passiert ist oder treibt uns gleich das nächste Geschehen zu ständig zu neuen Aktionen – Nachdenken später oder „Was soll’s ... !“.

Die Verringerung der Klasse zu kleineren Gruppen macht das Geschehen überschaubarer. Woran orientiere ich mich? Überraschungen wären möglich, wenn neue Modelle klarer sichtbar werden. Der Zeitraum bis zu den Ferien könnte reichen, sich selbst neu/anders in geänderter Konstellation zu erleben und neue Erfahrungen zu stabilisieren.

Ausprobieren oder „Was soll’s!“?

Ein hilfreiches Arbeitsblatt Artikel als PDF

Was ist Mobbing?Erste gedruckte Antworten

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Fünf Fragen an ...

... Prof. Dr. Mechthild Schäfer von Susanne Koch, die für ReportPsychologie das Interview führte.

Susanne KochWas genau ist Mobbing – und wie grenzt es sich von anderen Konflikten ab?

Mechthild SchäferMobbing ist kein Konflikt. Ein Konflikt besteht darin, dass zwei Menschen oder Gruppen unterschiedliche und vor allem unvereinbare Meinungen, Interessen oder Forderungen haben und keine Lösung finden. Mobbing hingegen ist ein funktionales Verhalten: Der oder die Täter wollen an Status und Macht gewinnen und werten dazu ein Mitglied der Gruppe gezielt ab, instrumentalisieren es als Opfer. Dabei spielen nicht nur Opfer und Täter eine Rolle: Entscheidend ist die umgebende Gruppe – im Schulkontext etwa die Klasse –, denn nur sie kann Macht zugestehen.

Susanne KochUnd entweder Täter oder Opfer unterstützen.

Mechthild SchäferRichtig, im Rahmen von Mobbing-Prozessen nehmen Personen verschiedene Rollen ein. Ganz grob können diese einer Pro-Mobbing-Gruppe und einer Anti-Mobbing-Gruppe zugeordnet werden. Zur ersten Gruppe gehört der Täter, von dem das aggressive Verhalten ausgeht. Er übernimmt die Führung und übt Macht aus. Dann gibt es die Assistenten, die Wasserträger, die sich einspannen lassen und den Täter unterstützen. Zur Pro-Mobbing-Gruppe gehören aber auch die Verstärker, Kinder, die sich zwar selbst nicht die Hände schmutzig machen, aber durch ihren Beifall das Mobbing als richtig definieren und den Prozess verstärken. Insgesamt macht die Pro-Mobbing-Gruppe etwa 30 Prozent einer Klasse aus. Gegen das Mobbing richten sich die Verteidiger, etwa 20 bis 30 Prozent der Schüler. Sie schreiten aktiv ein und stellen sich auf die Seite des Opfers. Im Klassenverband sind diese Kinder bzw. Jugendlichen meist hochgeschätzt. Zur Anti-Mobbing-Gruppe zählen aber auch die etwa 20 bis 30 Prozent Außenstehenden. In der Regel lehnen diese das Mobbing zwar ab, unternehmen aber selten oder nie etwas dagegen. Neuere Studien bestätigen den Außenstehenden dennoch viel Potenzial, so dass man meinen könnte, bei dieser Gruppe fehle gar nicht viel, um sie zu Verteidigern zu machen. Aber die Verteidiger selbst haben wenig Sympathie für Außenstehende. Weil sie erleben, dass diese bei Mobbing nicht aktiv werden, dass man „mit denen keinen Blumentopf gewinnen kann“.

Susanne KochGibt es so etwas wie typische Verhaltensweisen beim Mobbing?

Mechthild SchäferTypisch ist: Kinder, die gemobbt werden, gehen morgens in die Schule und wissen genau: Irgendwann am Tag wird es passieren. Sie wissen nicht wann oder was genau es sein wird, aber sie wissen sicher, dass sie irgendwann total blöd dastehen werden – und alle anderen werden das wahnsinnig komisch finden.
Wirklich gewalttätiges Verhalten beobachten wir dabei selten. Mobbing besteht eher darin, dem Opfer zu zeigen: Du kannst machen, was du willst, wir sind stärker. Du kannst nichts tun. Das übersehen Erwachsene oft. Sie geben den Kindern gute Ratschläge, etwa ruhig und freundlich zu bleiben und die Sticheleien zu ignorieren. Oder die Situation zu verlassen. Oder sich zu wehren. Die Wahrheit ist: Es ist völlig egal, wie sich das betroffene Kind verhält, es verliert immer. Ist es freundlich, „schleimt es sich ein“, geht es weg, ist es „feige“, wird es böse, ist es „total aggressiv“. Das Ziel ist ja nicht, dem Opfer die Chance zu geben, irgendetwas richtig zu machen, sondern es fühlen zu lassen, dass es auf jeden Fall immer etwas falsch macht. Die Täter zeigen: Wir machen das einfach – und du kannst nichts dagegen tun.
Interessanterweise gibt es da auch wenige Unterschiede, wenn man Mobbing bei jüngeren oder älteren Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen betrachtet. Es geht immer um die Degradie-rung des anderen. Nur die Mittel unterscheiden sich – je nach kognitiven Fähigkeiten – und werden mit zunehmender Reife subtiler.
Eine ganz neue Dimension des Mobbings ergibt sich heute durch die „Möglichkeiten“ des Internets. Früher konnte man von der Schule nach Hause gehen und sich erholen, heute folgen die Schikanen nach Hause. Mobbing kann nun immer, rund um die Uhr stattfinden – und das, egal, ob das Opfer online ist oder nicht. Allein das Wissen um das, was passiert und wie vernichtend es sein kann, demoralisiert mit hoher Geschwindigkeit, kostet mitunter den Lebensmut.

Susanne KochSie sprechen in Ihren Arbeiten von starken und schwachen Situationen. Was ist damit gemeint?

Mechthild SchäferIn einer starken Situation verhalten sich Menschen entsprechend ihren Werten und den gegebenen Bedingungen. Wird zum Beispiel jemand geschlagen oder verletzt, folgen die meisten Menschen dem Impuls zu verteidigen oder zu helfen und reagieren somit – mit wenig Varianz – in Richtung des erwarteten Verhaltens.
In einer schwachen Situation hingegen wird das Geschehen durch soziale Prozesse und Gruppen-dynamiken überlagert. Wir haben bereits über die Rollverteilung bei Mobbing-Prozessen gesprochen. Diese ist – solange nicht interveniert wird – sehr stabil. Wenn nun das Opfer schikaniert wird, handeln die Umstehenden entsprechend ihrer Rollen, ohne bewusst die Situation zu reflektieren und eine Entscheidung zu treffen. So kommt es, dass Kinder, die in einem anderen Zusammenhang sofort einschreiten würden, bei Mobbing in ihrem Klassenverband einfach daneben stehen und zuschauen – oder gar mitmischen.
Ich erinnere mich etwa, dass mein Sohn während der Grundschulzeit einmal ein Mobbing-Opfer, mit dem ich arbeitete, kennenlernte. Er hörte sich die Geschichte dieses Mädchens an – und war entrüstet. Was das denn für eine Schule sei? Und was für schreckliche Mitschüler? Wie kann es sein, dass keiner was unternimmt, wenn sie so mies behandelt wird? Dabei hat er nicht realisiert, dass zur gleichen Zeit auch in seiner eigenen Klasse Mobbing stattfand. Wir haben also auf der einen Seite die natürliche Empfindung, dass das so nicht in Ordnung ist, auf der anderen Seite aber die Regeln des Systems.

Susanne KochAlso sind starke Situationen der Zielzustand, wenn man gegen Mobbing vorgehen will.

Mechthild SchäferJa. Wir hätten schon viel gewonnen, wenn wir erreichen würden, dass Kinder in Mobbing-Situatio-nen genau hinschauen und entsprechend ihren individuellen Werten handeln, wenn sie bewusst hinterfragen würden: Wer hat von dem, was gerade passiert, einen Vorteil? Denn 70 bis 80 Prozent der Kinder sagen ganz klar: Mobbing ist fies und echt doof.
Aber natürlich ist es wahnsinnig schwer, das gewachsene Gefüge innerhalb einer Klasse zu durch-brechen. Und es ist ja auch prinzipiell richtig und wichtig, dass es dieses Gefüge gibt und wir uns entsprechend unserer Rollen in diesem verhalten. Das gibt Orientierung und Sicherheit. Nur im Falle von Mobbing nutzt eben jemand die Strukturen aus, um sich Macht zu verschaffen.

Susanne KochWäre das ein Ansatz für Interventionen?

Mechthild SchäferTatsächlich ist es für die Reduktion von Mobbing wichtig, Strukturen zu verändern. Und klar zu adjustieren, welche Verhaltensweisen an der Schule erlaubt sind und welche nicht. Noch wichtiger ist allerdings, dass die effizienteste Intervention immer die ist, die aus der Klasse selbst kommt.
Häufig richtet sich der Blick von Pädagogen und Schulpsychologen zunächst auf die Opfer. Die Experten „wissen“, wie typische Opfer aussehen, und warum sie von ihren Mitschülern gemobbt werden. Aber sie vergessen, dass sie die Kinder meistens erst dann so genau betrachten, wenn Mobbing schon in vollem Gange ist – und dass die „typischen Mobbing-Opfer“ vorher vielleicht gar keine zurückgezogenen Außenseiter waren. Dabei wird Kausalität falsch herum gedacht. Wer sich einmal tief gehend mit Mobbing beschäftigt hat oder es selbst erlebt hat, weiß, dass es den stärksten Charakter und auch einen sehr gesunden Selbstwert heftig unterminieren oder gar pul-verisieren kann.
Gute Mobbing-Prävention und -Intervention setzen nicht am Opfer und dessen Eigenheiten an. Ganz deutlich wird das übrigens auch bei den extremen Fällen, in denen ein Kind zu seinem Schutz aus dem Klassenverband herausgenommen wird. Oft sucht sich die Klasse dann relativ schnell das nächste Opfer. Denn dieses wird gebraucht, damit das etablierte Mobbing-System weiter funktioniert. Das ist ein klarer – wenn auch indirekter – Hinweis darauf, dass es nicht an dem Kind selbst liegt, wenn es gemobbt wird. Es ist lediglich ausgewählt worden. Und es hätte genauso ein anderes Kind treffen können.

Susanne KochSinnvolle Interventionen versuchen also, das Verhalten anderer Protagonisten zu verändern.

Mechthild SchäferEin neuerer Ansatz, den wir untersuchen werden, beinhaltet eine Sensibilisierung und Aktivierung der Außenstehenden. Wie erwähnt, sind diese oft nur einen kleinen Schritt davon entfernt, etwas gegen Mobbing zu tun. Wir wollen herausfinden, was sie blockiert und wie diese Barrieren aus dem Weg geräumt werden können. Wenn wir es schaffen, die Verteidiger zu motivieren, die Außenstehenden ins Boot zu holen, wenn also Außenstehende mit den Verteidigern zusammenar-beiten, dann ist der größte Teil der Klasse gegen Mobbing. Und diese Verschiebung der Mehrheiten sollte die Dynamik in der Gesamt- und auch in der Pro-Mobbing-Gruppe verändern.

Susanne KochWie gut können Lehrer einschätzen, ob in ihrer Klasse Mobbing stattfindet?

Mechthild SchäferIch denke, viele könnten Mobbing sehen und erkennen. Voraussetzung ist aber, dass Lehrer es sehen wollen und sich auf diesen Gedanken einlassen. Lehrer sind Experten für Pädagogik, aber sie können nicht überall sein. Daher müssen sie sich mitunter Informationen da beschaffen, wo sie umfassender vorliegen – bei ihren Schülern. Dieser Gedanke gefällt nicht allen Lehrern.
Und natürlich ist da das ungute Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, wenn Mobbing in der eigenen Klasse auftritt. Dazu kann man sagen: Mobbing ist ein ganz normales Gruppenphänomen, dass in hierarchischen Strukturen auftritt. Jede Klasse weist die typische Rollenverteilung auf. Das heißt, jede Klasse ist zu Mobbing in der Lage. Und es ist kein Fehler des Lehrers, wenn Mobbing auftritt. Aber wenn es auftritt, ist es die Aufgabe des Lehrers, etwas dagegen zu unternehmen. Und wenn man nicht weiß, was, dann ist es positives Modellverhalten und echte Kompetenz, sich bei Kollegen Hilfe zu holen. Es ist so wichtig, frühzeitig zu intervenieren bzw. präventiv mit den Schülern zu arbeiten. Denn wenn in einer Klasse Mobbing stattfindet, hat nicht nur ein Kind hat ein Problem – die ganze Klasse hat eines. Alle sind betroffen – und kein Kind gewinnt dabei.